Manchmal sind es die sanften Gesten, die Großes bewirken

Eine liebevoll geschriebene Geschichte zur Adventszeit von Rosanne Wehner, Mitarbeiterin der WfbM des Erthal-Sozialwerks

Manchmal sind es die kleinen Gesten, die Großes bewirken: Die Katzen Samira und Emil bringen mit Sanftmut den zehnjährigen David und seine Familie wieder zusammenbringen. Eine Geschichte über Wärme, Nähe und von kleinen Mut-Impulsen.


Glück auf sanften Pfoten

Samira war eine recht ungewöhnliche, einfühlsame Katzendame. Ihr graues Fell schimmerte seiden, und die großen, grünen Augen funkelten wie Kristall. Samira, die stets sehr interessiert und aufmerksam ihr eigenes Umfeld betrachtete.

Und da gab es noch den ebenfalls recht umsichtigen Kater Emil. Sein getigertes Fell ergänzte sich vorteilhaft zu seinem weißen Lätzchen und den weißen Pfoten.

Samira und Emil führten gemeinsam ein recht tatkräftiges Regiment und hatten in gemeinsamer „Teamarbeit“ schon so manches segensreiches Werk vollendet.

Gerade in der Vorweihnachtszeit machten sie es sich auf der Sitzbank vor dem wärmenden Kachelofen in der Küche gemütlich und verfolgten das Geschehen mit wachsendem Interesse. Tante Lina und das Hausmädchen Anke werkelten unermüdlich. Da wurden beispielsweise Kränze gewunden, eigene Kerzen gezogen, wobei die herrlichsten Düfte aus dem Ofenrohr ganz wunderbar den Raum ausfüllten.

Sommer und Herbst waren vorüber gegangen, das goldene Oktoberlicht war vor dem frühen Dunkel gewichen – eine graue Zeit des Nachdenkens, stiller und besinnlicher Momente hatte begonnen.

Das kleine Hofgut am Rande des Dorfes erweckte einen durchaus willkommenen Eindruck – der 10-jährige David hatte dort bei seinen gutherzigen Verwandten vorerst ein neues Zuhause gefunden.

„Jetzt steht Weihnachten vor der Tür, doch alles ist in Unfrieden. Seine Mutter Carola meldet sich nicht mehr, und ich denke laufend an den Jungen“, bemerkte Tante Lina, während sie den Teig für die Vanillekipferl knetete.

„Vielleicht gelingt uns ja ein häuslicher Friede, wenn wir Carola einfach herzlich einladen. Vielleicht wäre das ja eine Chance, die beiden wieder zusammen zu bringen“, pflichtete Onkel Johann ihr bei.

Aufmerksam verfolgte Samira das Geschehen, und auch Emils Blick richtete sich auf.

Ein dunkler Schatten stand plötzlich im Raum! Neben den herzhaften Düften und dem frohen Wirken und Schaffen erwachte eine plötzlich tiefgreifende Melancholie. Ein vorerst bleibender Abschied auf Ewig hatte Trennung und Schmerz verursacht. Ein immer wieder kehrender Gedanke an ein glückerfülltes Miteinander aus vergangenen Zeiten ermahnte an eine fesselnde Hilflosigkeit, an ein anhaltendes Schweigen.

Samira und Emil wechselten einen zustimmenden Blick.

„Klare Sache, unser Einsatz wird gebraucht“, raunte Emil Samira vertrauensvoll zu.

„Jetzt kommt es darauf an, im richtigen Moment das Richtige zu tun. Gehen wir es an, Kollege.“

Zunächst entwarfen Samira und Emil ein entsprechendes Porträt, das ganz ihren Erwartungen entsprach. Ein Mensch in nächster Nähe verharrte in tiefster Einsamkeit und wartete sicher die ganze Zeit auf ein liebes, verbindliches Wort.

Samira und Emil kannten bereits die Stimmlagen und emotionalen Verfassungen der unterschiedlichsten Menschen. Sie kannten Menschen, die einsam und in Verzweiflung innerlich verstummt sind und sich nicht anderen Menschen mitteilen können.

Fest entschlossen verließ Samira mit einem Satz die behagliche Stätte der eben noch unbeschwerten und sinnlichen Gedanken, während Emil unten die Stellung hielt, und rüstete sich für die etwas gewagte Aufgabe: Sie wollte das Herz des kleinen Davids mit Wärme und etwas Glück erfüllen und zusammen mit Emil den häuslichen Frieden vollbringen!

Beherzt trat Samira in ein eigenes Reich. David hatte den Kopf auf beide Hände gestützt und den Blick nach unten gerichtet. Was mochten wohl für schmerzvolle Gedanken und Entbehrungen in seinem Inneren kämpfen?

Bei Samiras Eintreten schien bereits ein großes Stück vom Erdenglück zu erwachen!

„Samira, wie habe ich auf dich gewartet!“

Nach einer liebevollen, innigen Kosung begann Samira David unter anhaltendem Schnurren zu berichten: Dass zwei Menschen in großer Sorge um ihn seien, dass doch Weihnachten wäre, wo alle Menschen im inneren Frieden zu einander finden müssten.

Diese Worte gaben David zu bedenken. Doch dann, nach einem auffordernden Miau, folgte David Samira in froher Erwartung in die Küche. Eine völlig andere Welt tat sich für ihn auf! Die Kerzen auf dem liebevoll gedeckten Tisch waren entzündet – seine Tante Lina und sein Onkel Johann empfingen ihn herzlich mit den Worten:

„Gott sei Dank David, dass du gekommen bist. Der Gedanke an Deine verschollene Mutter hat uns völlig voneinander entfremdet. Jetzt kann es Weihnachten werden, wir schreiben gerade an Deine Mutter und laden sie herzlich ein.“

„Ach, sie wird ja doch nicht kommen“, wandte sich David Hilfe suchend an Tante Lina.

„Abwarten, wer weiß“, wusste Onkel Johann zu bekräftigen.“

Sommer und Herbst waren vorüber gegangen, und es gab die ganze Zeit über keine Nachricht, kein „Lebenszeichen“ eines Menschen, dessen Aufgabe es eigentlich war, ein anderes Leben liebevoll zu hüten und zu bereichern.

Doch Samira und Emil wollten den inneren Frieden wahren und im eigenen Ermessen recht viel Glück verschenken!

„Warum ist sie denn abgehauen? Warum hat sie mich einfach allein gelassen?“ forschte David.

„Ja, ihr Leben hatte seine Höhen und Tiefen. Sie ist vor ihrem eigenen Unglück davongelaufen. Komm, versuche ihr zu verzeihen und Eurem gemeinsamen Glück eine Chance zu geben. Alles wird gut, wir wollen ganz, ganz fest daran glauben.“

Verständnisvoll drückte Lina seine Hand, das häusliche Glück schien so gut wie besiegelt und der Brief längst versandt.

Samira und Emil hatten in jeder Hinsicht ihr Amt erfüllt. Und unaufhaltsam nahte der Heilig Abend. Alle warteten voller Spannung auf den entscheidenden Moment, der ein Menschenleben ganz spontan verändern konnte!

Und der Brief hatte segensreich gewirkt! Plötzlich stand Mutter im Zimmer. Umrahmt vom warmen Kerzenschein erschien sie wie ein Geschenk des Himmels! Wortlos schloss sie ihren Sohn in die Arme – Samira und Emil teilten einen innigen Blick ungestillter Freude und waren sich darin einig: „Du und ich, wir beide haben es gut gemacht.“

Eine Geschichte von Rosanne Wehner, Autorin und Mitarbeiterin im Dokumentenservice des Erthal-Sozialwerks.