St. Josefs-Stift öffnet bundesweit neue Wege bei Psychotherapie für Menschen mit geistiger Behinderung

Das St. Josefs Stift in Eisingen beschäftigt als deutschlandweit erste Einrichtung seiner Art einen kassenfinanzierten Psychotherapeuten zur Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung. Denn psychische Erkrankungen nehmen bei Menschen mit Behinderung an Bedeutung zu – und es ist wichtig, ihnen dann vor Ort helfen zu können.

Als deutschlandweit erste Einrichtung seiner Art beschäftigt das St. Josefs-Stift in Eisingen seit Jahresbeginn mit Michael Fath einen von den Krankenkassen ermächtigten Psychotherapeuten. „Es gibt einen zunehmenden Bedarf für Psychotherapie bei Menschen mit geistigen Einschränkungen“, sagt Linda Schmelzer, Leitung Pädagogik, Medizin und Entwicklung im Verbund Tatenwerk, zu dem das St. Josefs-Stift gehört. „Wichtig ist uns, den betroffenen Menschen frühzeitig Unterstützung vor Ort bieten zu können, auch um Klinikaufenthalte zu vermeiden.“

Es gehe darum, psychische Probleme, die bei Bewohnerinnen und Bewohnern des St. Josefs-Stifts und den Mitarbeitenden der Werkstätte für behinderte Menschen auftreten, frühzeitig abzufangen, betont Psychotherapeut Michael Fath. „Bei Menschen mit Intelligenzminderung treten häufig psychische Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen auf. Hier geht es darum, die Betroffenen angemessen zu unterstützen und auch die Mitarbeitenden des Stifts, die Betreuer und andere Bezugspersonen beim Umgang mit der psychischen Erkrankung zu unterstützen.“

So könne es bei Personen, die sich verbal nicht verständlich machen können, zu Verhaltensauffälligkeiten wie etwa Aggressionen gegenüber Mitarbeitenden oder anderen Bewohnern kommen, erklärt Fath. „Es ist dann nicht immer leicht, einen angemessenen Umgang damit in der jeweiligen Situation zu finden.“ Hier sei auch aus psychotherapeutischer Sicht Kreativität gefragt: „Ich greife auf Handwerkszeug unter anderem aus der Kinder- und Jugendpsychotherapie zurück, um die betroffenen Menschen unterstützen zu können“, so Fath.

Die Mitarbeitenden des St. Josefs-Stifts spielen im Leben vieler Bewohnerinnen und Bewohner eine wichtige Rolle. Denn das Durchschnittsalter liegt bei 46 Jahren, viele haben keine Eltern oder anderen Angehörigen mehr. Die Mitarbeitenden sind für diese Menschen daher häufig die wichtigsten Bezugspersonen. Umso wichtiger ist es, dass auch sie mit den psychischen Problemen der Bewohnerinnen und Bewohner zurechtkommen. „Die Beratung für die Mitarbeitenden ist extrem wichtig“, bestätigt Heiner Vogel, Psychotherapeut und außerplanmäßiger Professor für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Würzburg und Leiter des Arbeitsbereichs Rehabilitationswissenschaften am Zentrum für psychische Gesundheit.

Vogels persönlichem Einsatz verdankt das St. Josefs-Stift die Kassenermächtigung für seinen Psychotherapeuten. Denn eigentlich sieht die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung eine solche Stelle nicht vor. Doch auch wenn die Region – nach den Regeln der sogenannten Bedarfsplanung – ausreichend mit Psychotherapeuten versorgt sei, müsse man bei einer Einrichtung wie dem St. Josefs-Stift andere Maßstäbe anlegen, erklärt Vogel. „Die Bewohnerinnen und Bewohner des Stifts sind eine spezielle Zielgruppe, die im normalen Versorgungssystem zumeist keine Chance auf einen Therapieplatz haben.“ Mit dieser Begründung wurde dem St. Josefs Stift der Kassensitz genehmigt – mit persönlicher Ermächtigung für Michael Fath zur Behandlung der Bewohnerinnen und Bewohner.

Die Behandlung von Patientinnen und Patienten von außerhalb ist daher auch nicht möglich. „Es muss ein Bezug zum St. Josefs-Stift vorhanden sein“, erklärt Fath – sei es als Bewohnerin oder Bewohner, als Beschäftigter der Behindertenwerkstätten oder auch im Zuge der ambulanten Versorgung. Im St. Josefs-Stift selbst leben rund 450 Bewohnerinnen und Bewohner, hinzu kommen Außenwohngruppen. Über 650 Mitarbeitende gestalten eine breite Palette von Assistenz- und Dienstleistungsangeboten, um den Menschen mit geistigen Einschränkungen ein möglichst normales Leben zu ermöglichen.

„Wir sind sehr dankbar dafür, dass diese Möglichkeit nun am St. Josefs-Stift besteht“, sagt Linda Schmelzer. „Ohne die Beratung und Unterstützung von Professor Vogel wäre das nicht möglich gewesen.“ Zudem sei es ein Glücksfall für die Einrichtung, dass mit Michael Fath ein kompetenter Psychotherapeut dieses Pilotprojekt übernommen hat.